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Zehnte Ausgabe. 10. Juli 2024

Liebe Kleist-Freundinnen und Freunde, liebe Mitglieder,

im letzten Abendletter habe ich Ihnen von meiner Suche nach Kleist-Spuren in New York berichtet. An meinem letzten Wochenende wurde ich schließlich doch noch fündig und freue mich nun umso mehr, ein echtes New Yorker Kleist-Highlight nachreichen zu können. Am 18. Mai öffnete nämlich eine Ausstellung mit dem verheißungsvollen Titel Kant Crisis ihre Pforten – sie läuft noch bis Freitag dieser Woche in der Canal Street (für Kurzentschlossene!).

Der Künstler Will Stovall, ein in Yale promovierter Germanist, wählt das berühmte Bogen-Motiv zum Ausgangspunkt seiner Auseinandersetzung mit Hoffnung und Zweifel an der Welt. Die Arbeiten sind in den Jahren der Corona-Krise entstanden und nehmen deutlich auf Kleists Skizze vom 30. Dezember 1800 Bezug. Freundlicherweise hat Will Stovall gestattet, dass wir im Abendletter einige seiner Arbeiten zeigen können. Eine Besprechung seiner ersten Einzelausstellung finden Sie hier.

Zum Thema Kleist-Spuren habe ich übrigens einige nette Zuschriften erhalten. Vielleicht wäre das Thema Kleist-Spuren weltweit eines, das wir mit ins Kleist-Jahr nehmen könnten? Ideen dazu sind willkommen!

Bevor ich mich in die Sommerpause verabschiede, ein Ausblick auf den Kleist-Herbst: Sie können sich auf ein schwergewichtiges Kleist-Jahrbuch freuen, das neben den Beiträgen unserer letzten Jahrestagung zu Kleists Berlin, den Gewinnerbeitrag des letzten Aufsatz-Wettbewerbs und noch manch andere interessante Lektüre verspricht.

Freuen können Sie sich auch auf das Kleistpreis-Wochenende am 16./17. November 2024: Neben der Preisverleihung an Sasha Marianna Salzmann am 17. November planen wir gerade eine Veranstaltung am Nachmittag des 16. November, die nicht zuletzt den auf der Jahrestagung intensivierten Austausch der Mitglieder fortsetzen soll.

Details zum Programm und weiteren Terminen gibt es im nächsten Abendletter. Einsendeschluss ist der 30. September. Nutzen Sie doch die Ferienzeit, um vielleicht einmal selbst einen Text zum Abendletter beizusteuern! Ich träume immer noch davon, eine Art Vorrat für Herbst und Winter anlegen zu können.

Bis dahin Ihnen allen einen schönen Sommer!

Herzliche Grüße aus Berlin
Ihre Anne Fleig

Ankündigungen und Termine

Preis für den besten studentischen Kleist-Aufsatz 2024

Vor Beginn der vorlesungsfreien Zeit erinnern wir noch einmal an die Ausschreibung für unseren Preis für den besten studentischen Kleist-Aufsatz. Eingereicht werden können literaturwissenschaftliche Beiträge über Heinrich von Kleists Texte. Weitere Einschränkungen in Bezug auf Thema, Text- und Kontextauswahl oder Methodik bestehen nicht. Einzige Bedingung: Die Verfasserinnen und Verfasser sind Studierende (oder Doktorandinnen und Doktoranden in der Anfangsphase ihrer Promotion).

Die Teilnahme erfolgt durch Selbstbewerbung der Studierenden. Bitte reichen Sie uns den Kleist-Aufsatz (max. 20 Text-Seiten, 12 pt Schriftgröße, Zeilenabstand 1,5) und kurze biographische Informationen ein. Hinweis: Der Aufsatz sollte in Form eines eigenständigen, konzentrierten und in sich abgeschlossenen Beitrags vorliegen. Eine Hausarbeit, BA-Arbeit oder MA-Arbeit kann zwar als Grundlage für den eingereichten Text dienen, müsste aber entsprechend überarbeitet werden.

Bewerbungsschluss ist der 15. August 2024. Bewerbungen werden per Mail erbeten an: Prof. Dr. Anne Fleig (anne.fleig@fu-berlin.de) und Prof. Dr. Andrea Bartl (andrea.bartl@uni-bamberg.de)

Kleistpreis-Verleihung

Die Matinee zur Verleihung des Kleistpreises an Sasha Marianna Salzmann findet am Sonntag, 17. November um 11 h im Deutschen Theater Berlin statt. Die Vorbereitungen laufen, bitte merken Sie sich den Termin vor!

Damit wir im Gespräch bleiben (und weil sich die Anreise zur Preisverleihung für unsere auswärtigen Mitglieder dann besser lohnt), planen wir für den Nachmittag zuvor, also den 16. November ab 15 h, eine Veranstaltung in Kooperation mit der Staatsbibliothek zu Berlin, die Austausch zu Kleists Leben anhand ausgewählter Briefe und Austausch untereinander ermöglichen soll. Bitte merken Sie sich auch diesen Termin vor, weitere Informationen folgen im nächsten Abendletter.

Erlesenes Fundstück

Wie geht man angemessen mit Druckfehlern um? Bei Wikipedia wird der Korrektor wie folgt definiert: "Ein Korrektor ist eine Person, die Druckvorlagen hinsichtlich Rechtschreibung, Grammatik, Typographie, Stil und Interpunktion überprüft und Fehler zur Korrektur anzeichnet." Wenn selbst ein Korrektor einen Druckfehler verursacht, und das in einem Text mit Kleistbezug, wie kann man das in Stil und Form angemessen wieder korrigieren? In der Berliner Börsen-Zeitung vom 8. Juni 1872 gibt es dazu ein passendes Beispiel. Ich habe den Text in der damaligen Rechtschreibung abgeschrieben, um zu vermeiden, nun meinerseits durch Anpassungen an die heutige Rechtschreibung eventuell Fehler zu produzieren.

Berliner Börsen-Zeitung, Morgen-Ausgabe, Samstag 08.06.1872, Seite 8

In unserem gestrigen Referate über die Aufführung von Geibel’s „Brunhild“ findet sich ein Passus, welcher den Leser nicht wenig befremdet haben wird. „Eigenthümlich ist der Dichtung Geibel’s, daß Brunhild’s Liebe zu Siegfried in den Vordergrund gerückt wird, und daß sie nach dessen Ermordung durch Hagen bei seiner Leiche sich in Verzweifelung den Tod giebt. Dies erinnert an Kleist's Selbstmordgeschichte.“ Wir bedauern es recht sehr, wenn irgend Jemand sich mit dem Bemühen geplagt haben sollte, den Vergleichspunkt zwischen Brunhild’s und Heinrich von Kleist’s Schicksalen zu entdecken. Der kleine Satz verdankt seine Entstehung einem jener zugleich fatalen und komischen Vorkommnisse, welche den Anfang zu dem großen Capitel der Druckfehler bilden. Die Sache verhält sich so: Der Verfasser der Notiz über die Vorstellung im Königl. Schauspielhause hatte geschrieben: Dies erinnert an Kleist’s --- hier hatte er einen freien Raum für ein Wort gelassen, weil ihm der Name Penthesilea nicht gleich einfiel; er wollte denselben hernach einfügen. In dem so benannten, wahrhaft großartigen Trauerspiele Kleist’s wird die Amazonen-Königin nachdem sie in verhängnißvoller Verblendung dem von ihr geliebten Helden einen schrecklichen Tod bereitet hat, an seiner Leiche von der tieffsten Verzweifelung erfaßt, und mit Wahnsinn und Tod sühnt sie die tragische Schuld. Die Anklänge an Geibel’s Brunhild, welche an der Leiche des auf ihr Anstiften ermordeten Siegfried sich den Tod giebt, indem die Liebe zu demselben wieder in ihr erwacht und die zerschmetterndste Selbstanklage bewirkt, liegen nahe; freilich ist die Tragik in der Kleist’schen Tragödie viel tiefer und ergreifender, weil dort das Weib den nicht blos geliebten, sondern auch sie liebenden Mann, und zwar in Folge eines bloßen Mißverständnisses in’s Verderben stürzt. --- Es sollte also heißen: dies erinnert an Kleist’s Penthesilea. Allein die Einrückung des Namens war hernach übersehen, das Manuskript gelangte in die Druckerei, und der betreffende Corrector hatte sich die Frage zu stellen: Was kann der Redacteur wohl gemeint haben? Als ein mit der Deutschen Literaturgeschichte wohlbewanderter Herr sagte sich der Corrector, daß Heinrich von Kleist durch Selbstmord umgekommen ist, und da Geibel’s Brunhild gleichfalls sich das Leben nimmt, so wird das Sätzchen: Dies erinnert an Kleist’s --- zu ergänzen sein durch das Wort „Selbstmord“ oder (noch besser) „Selbstmordsgeschichte.“ So ist denn das vielbeklagte Ende des Dichters der Penthesilea wieder einmal zur Sprache gebracht worden, ohne daß wir es beabsichtigten; der Corrector soll dafür Buße thun auf der Grabstätte am Wann-See.

Burkhard Wolter

Erlesenes

Kästner und der stotternde Kleist

In Erich Kästners Roman Fabian. Die Geschichte eines Moralisten, der zwischen 1929 und 1931 entstand, gibt es eine kurze Szene mit Bezug zu Heinrich von Kleist. Sie ist als satirischer Seitenhieb auf die Absurdität der Literaturwissenschaft und ihre Dissertationsthemen zu verstehen. Erfreulicherweise ist die heutige literaturwissenschaftliche Kleist-Forschung eine ganz andere…

Die Szene wird hier aus der unzensierten Urfassung des Fabian, die erst vor wenigen Jahren unter dem Titel Der Gang vor die Hunde rekonstruiert und erstmals veröffentlicht wurde, zitiert. ­

Zum Kontext: Fabian und sein Kollege Fischer, beides Werbetexter, sind gerade dabei, einen gereimten Zweizeiler für ein Reklame-Plakat für eine Zigaretten-Marke zu verfassen. Dabei entwickelt sich dieses Gespräch:

Fischer stand auf. »Wie? Doktor sind Sie auch?«
»Ich machte die Prüfung in dem gleichen Jahr, in dem ich beim Messeamt als Adressenschreiber eingestellt war.«
»Wie hieß denn Ihre Dissertation?«
»Sie hieß: Hat Heinrich von Kleist gestottert? Erst wollte ich anhand von Stiluntersuchungen nachweisen, daß Hans Sachs Plattfüße gehabt hat. Aber die Vorarbeiten dauerten zu lange. Genug. Dichten Sie lieber!« Er schwieg und ging vor dem Plakat auf und ab. Fischer schielte neugierig zu ihm hin. Doch er wagte nicht, das Gespräch zu erneuern.

Quelle: Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde. Roman. Hg. von Sven Hanuschek. 14. Auflage. Zürich: Atrium Verlag 2013. S. 31.

Andrea Bartl