© Lorenz Becker Photographie
Der Kleist-Preis des Jahres 2023 geht an den 1965 in Stralsund geborenen Schriftsteller und Musiker Thomas Kunst. Die Verleihung soll am 26. November während einer Matinée im Deutschen Theater erfolgen. Gemäß der Tradition des Kleist-Preises hat der Autor Feridun Zaimoglu – als von der Jury der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft gewählte Vertrauensperson – in alleiniger Verantwortung Thomas Kunst zum Preisträger bestimmt. Seine Begründung lautet:
»Thomas Kunst ist der sprachbesessenste und herzverrückteste deutsche Dichter unserer Zeit. In seinen Gedichten und Romanen wagt er den Bruch mit dem Üblichen und Immergleichen. In seinem nördlichen Eigensinn setzt er sich über eingebildete Grenzen hinweg: Er ist ostdeutsch und weltgewandt, brillant und gegenwartsresistent. Er kann genauso gut und mächtig Sonettenkränze flechten, wie in Poemen die famose Geringfügigkeit des Glücks bebildern (z.B. in den Gedichtbänden Die Arbeiterin auf dem Eis, 2013, oder Kolonien und Manschettenknöpfe, 2017).
Niemals lässt er sich vom Aktualitätszwang verführen. Als phantastischer Extremist gelingt ihm auch der Kampf gegen die gewöhnliche Metapher meisterhaft. Seine Verse leuchten, weil er die Wirklichkeit in ihren schönen Einzelheiten kennt. Nicht von ungefähr verehrt er Thomas Brasch und Nicolas Born. Wer Thomas Kunst liest, wird es lieben, nicht mehr ohne seine Worte auskommen zu wollen.«
Die ersten Arbeiten von Thomas Kunst Besorg noch für das Segel die Chaussee. Gedichte und eine Erzählung 1986–1990 (1991) sind bei Reclam Leipzig erschienen, es folgten Lyrikbände und Romane bei verschiedenen Verlagen, etwa Die Verteilung des Lächelns bei Gegenwehr (1992) in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Was wäre ich am Fenster ohne Wale (2005) in der Frankfurter Verlagsanstalt, Die Arbeiterin auf dem Eis. Gedichte und Briefe (2013) und KUNST Gedichte 1984–2014 (2015) bei der edition AZUR in Dresden. Den avantgardistischen Roman Freie Folge veröffentlichte der Autor 2015 bei Jung und Jung in Salzburg. Seine letzten Publikationen, der Gedichtband Kolonien und Manschettenknöpfe (2017) sowie sein Roman Zandschower Klinken (2021), der auch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2021 stand, sind im Suhrkamp-Verlag erschienen. Das dichterische Werk von Thomas Kunst wurde bereits mehrfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet, darunter der Dresdner Lyrikpreis 1996, das Villa-Massimo-Stipendium 2003, der F.-C.-Weiskopf-Preis der Akademie der Künste Berlin 2004, der Lyrikpreis Meran 2014 und der Walter Bauer-Preis 2018; es zeugt zugleich von dem langen Atem, der für das Schreiben unabdingbar ist.
Der Kleist-Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und wird gefördert durch die Holtzbrinck Publishing Group, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Länder Berlin und Brandenburg. Der Kleist-Preis hat eine lange Tradition. In den 10er und 20er des letzten Jahrhunderts wurden u.a. Hans Henny Jahnn, Bertolt Brecht, Robert Musil oder Anna Seghers ausgezeichnet. Nach der Wiederbegründung des Preises 1985 hießen die Preisträger u.a. Alexander Kluge, Thomas Brasch, Heiner Müller, Ernst Jandl, Monika Maron, Herta Müller, Hans Joachim Schädlich, Daniel Kehlmann, Wilhelm Genazino, Arnold Stadler, Navid Kermani, Marcel Beyer, Monika Rinck, Yoko Tawada, Ralf Rothmann, Christoph Ransmayr, Ilma Rakusa, Clemens J. Setz und zuletzt Esther Kinsky.
Die Jury des Kleist-Preises, die die Vertrauensperson auswählt und ihr potentielle Preisträgerinnen und Preisträger vorschlägt, besteht aus sieben Mitgliedern: Andrea Bartl (Universität Bamberg), Florian Borchmeyer (freier Dramaturg), Anne Fleig (Freie Universität Berlin), Johannes Franzen (Universität Siegen; freier Kritiker) Janika Gelinek (Literaturhaus Berlin), Claudia Kramatschek (Kulturamt der Stadt Heidelberg; freie Kritikerin) und Arnold Stadler (Autor).